Entstehungsgeschichte

der Wortsammlung – Auszug aus der Analyse von Kuno Schnader

Die Mundart, eine regionalspezifische Sprachform

Die Mundart ist eine lokal- und regionalspezifische Sprachform mit ortspezifischer Ausprägung, typischen Redewendungen und eigenwilliger Grammatik. Von „Ureinwohnern“ gesprochen, nimmt sie innerhalb der familiären und ortsbezogenen Kommunikation einen hohen Stellenwert ein.

Typische Merkmale der Mundart                                                                                                     

Die  Mundart fördert den Heimatbezug

Wer Mundart spricht, identifiziert sich mit dem Ort und der Umgebung, mit den Mitmenschen, den Gepflogenheiten, dem Brauchtum und bekennt sich „heimat-verbunden“ zu seiner Herkunft. Die Mundart können „Zugereiste“ sich nur schwer

aneignen. Man muss schon die Kindheit und die Jugendzeit in der Gemeinde oder in der Region verbracht haben, um sie einwandfrei zu beherrschen.

Die Mundart motiviert zum Gespräch und schafft Gesprächsatmosphäre

Wer schon an einer zwanglosen Erzählrunde eines  Mundartabends teilgenommen hat, hat erfahren, welche Motivationskraft die Mundart haben kann. Sie stellt spontan Kontakte her, wirkt als „Zungenlöser“, schafft entspannte, von Vertrauen geprägte Gesprächsatmosphäre, befreit von Hemmungen und sorgt für eine Diskussion auf Augenhöhe.

Die Mundart kreiert originäre  Wortschöpfungen

„Originäre Begriffe“, wie sie die Mundart aufgrund scharfer Beobachtungen und Vergleiche hervorbringt, verweisen immer auf das Ursprüngliche einer Handlung.

Wenn eine kleine Hacke für das Jäten von Unkraut z. B. mit „Krätzel oder

Krätzerle“ bezeichnet wird, so kommt in dem Wort die kratzende oder schürfende Bewegung zum Ausdruck. Der Begriff „tranfunzlich“ oder „Tranfunzel“ für einen antriebslosen oder lahmen Menschen ist abgeleitet von dem Bild eines spärlich flackernden Öllämpchens (Tran = Öl). „Ripp“ steht z.B. für eine streitsüchtige Frau. Man hat unwillkürlich eine hagere, knöcherige, bös dreinschauende Frauengestalt vor Augen.

Die Mundart, Hemmschuh oder Sprache fördernd?

Es ist richtig, dass der „nur Dialekt Sprechende“ im gesellschaftlichen und beruflichen Bereich mit Schwierigkeiten konfrontiert werden kann. So wurden z. B. früher  bei Elternversammlungen in unseren Schulen überwiegend nur “Hochdeutsch sprechende Zugereiste“ zu Elternvertretern gewählt, weil sie sich entsprechend artikulieren konnten, während sich die „Einheimischen“ aufgrund ihres Dialekts nicht zur Wahl stellten. Vielfach wird der Dialekt auch disqualifizierend mit „Sprache der Unterschicht“ bezeichnet und  unverständlicher Weise als Ausdruck der Bildungsferne gewertet.

Es stimmt übrigens nicht, dass Personen, die mit der Mundart aufwachsen und die

Schriftsprache erst in der Schule erlernen, im späteren Leben benachteiligt sein müssen. Der beste Beweis hierfür sind zahlreiche herausragende Persönlichkeiten in Politik, Kirche und Wirtschaft, die in kleinen Dörfern, in denen nur Mundart gesprochen wurde, die Zwergschulen besuchten und heute in führenden Positionen erfolgreich tätig sind.

Die Mundartabende von Emil Klevenz

Der Arbeitskreis Heimatgeschichte St. Leon-Rot begann mit der Pflege der Mundart in der Absicht, ein vom Aussterben bedrohtes Kulturgut zu erhalten. Die Mundartabende sind heute längst fester Bestandteil des heimatgeschichtlichen Angebots des Arbeitskreises und finden regelmäßig statt.

Die Mundartabende von Emil Klevenz erfreuen sich heute eines regen Zuspruchs und gewannen an Lebendigkeit, als man aus der umfangreichen Wortsammlung von Hermann Tropf Mundartwörter und Redewendungen vorgab, die immer einen Redeschwall auslösten und dazu führen, noch nicht erfasste Wörter in das Kompendium aufzunehmen.

   Den Klängen des Ambosses nachgespürt

Das urige Ambiente der „Alten Schmiede“ von Karl Fuchs in der Leostraße mit Original- Amboss und Esse, der servierte  Wein und der von der Familie Fuchs gestiftete Flammkuchen schufen die geeignete Atmosphäre für den Mundartabend zur Thematik „Das Schmiedehandwerk“.

Die kurzweilige, gelungene Veranstaltung,  gewürzt mit gezielten Informationen und Anekdoten über einen der ältesten Handwerksberufe, motivierte sowohl zum Schmun-zeln als auch zum Nachdenken

Besondere Note

Eine besondere Note erhielt der Abend durch die Anwesenheit des Altmeisters Karl Fuchs und dessen ehemaligen Lehrling Manfred Heger. Heinz Vetter, ebenfalls einer der 30 Lehrlinge, die Karl Fuchs ausbildete und 45 Jahre in der Schmiedewerkstätte Fuchs tätig, war leider an der Teilnahme verhindert.

Der kurze Streifzug durch die Geschichte des Schmiedehandwerks, vom Moderator des Abends Willi Steger präsentiert, die Fragerunde mit Manfred Heger, die Hinweise des profunden Kenners Emil Klevenz über die Verschiedenartigkeit der Hufeisen und die Anekdoten aus der Jugendzeit von Wilhelm Mertel – in Mundart gesprochen- ergänzten sich zu einem plastischen Bild  über den Beruf des Schmieds.

Familiärer Betrieb

Der Dorfschmied als Huf- und Wagenschmied und der Wagner waren gefragte Hand-werker im Bereich der Landwirtschaft. Eindruckvoll auch die Schilderungen von Man-fred Heger über den Neun-Stunden-Tag und über das gute Verhältnis des Meisters zu seinen Lehrlingen, der nach getaner Arbeit oft seine Mitarbeiter zum Vesper in die Wirtschaft einlud. Schon mit 13 Jahren bediente Manfred Heger die „Schleifhex“  und verdiente als Lehrling samstags zusätzlich 5.– DM pro Hufbeschlag, bei der Herstellung von Geländern waren es sogar 30.–DM. Ein Hufbeschlag kostete 1964 20.-25.–DM, heute belaufen sich die Kosten für vier neue Eisen auf 80.–€. Ein Pferd muss alle sechs Wochen beschlagen werden.

Der Amboss, vielseitiges Gerät

Nostalgische Erinnerungen wurden lebendig, als Manfred Heger und Hans Heger  den Amboss mit  Hammerschlägen im Takt  zum Klingen  brachten und manche erinnerten sich noch, als es beim Beschlagen des Pferdes zischte und qualmte und nach verbranntem Horn roch. Trotz Einfachheit und seines massiven Zuschnitts ist der Amboss ein vielseitiges Gerät, wie Manfred Heger demonstrierte. Das Rundhorn am Ambossende dient zum Biegen, das Kanthorn am anderen Ende zum Abkanten, die Platte auf dem Ambosssockel zum Stauchen langer Werkstücke, die Löcher zum Einstecken von Stahlformen für die Formgebung von Rohteilen. „Erst eine jahrelange Erfahrung befähigt den Schmied, den Hammer so sicher zu führen, wie der Geiger seinen Bogen“, stellte Willi Steger bei der Wertung der Schmiedearbeit fest, die in der Werkstatt Fuchs als Kunstschmiedehandwerk weitergeführt wurde.

„Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist“

Gemäß dem Sprichwort: „Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist“, was soviel bedeutet wie schnelles, sicheres Zugreifen und zügiges Arbeiten würdigte Kuno Schnader die Lebensleistung von Karl Fuchs und meinte:“ Wichtige und notwendige Arbeiten dulden keinen Aufschub, so war es in der Werkstatt von Karl Fuchs, so war es in seinem Leben.“ Er dankte im Namen des Arbeitskreises der Familie Fuchs für die Gastfreundschaft und Manfred Heger für dessen Bereitschaft, sich dem Dialog zu stellen.

Die Mundartabende – Auswahl von Berichten

Die Mundartabende mit Emil Klevenz fanden zunächst im Nebenzimmer des Gasthauses zum Löwen statt, aufgrund des regen Zuspruches dann im großen Saal des Feuerwehrhauses. Hier eine Auswahl aus den  Berichten über die bisher fünf Abende:

Ein Mundartabend, der Heiterkeit auslöste

Globalisierung, Mobilität und die personelle Strukturveränderungen in den Gemeinden drängen die Mundart zunehmend zurück, nicht aber bei der „mittleren“ und  der „älteren“  Generation, wie der Mundartabend, zu dem der “ Arbeitskreis Heimatgeschichte St. Leon-Rot“ eingeladen hatte, bestätigte.

Das Nebenzimmer des Gasthauses zum Löwen in St. Leon war wiederum bis auf den letzten Platz besetzt. Emil Klevenz vom Arbeitskreis Heimatgeschichte moderierte den Abend, der die Mundart-Wortsammlungen von Hermann Tropf und  nun auch von  Heinrich Bech-berger (†) zur Grundlage hatte,  in originärer Weise und bereicherte ihn mit vielen persönlichen Erfahrungen.

Dabei zeigte sich, dass sowohl die kreativen Wortschöpfungen und Redewendungen vergangener Zeiten noch quicklebendig sind. Ein Stichwort aus dem inzwischen über 2000 Wörter umfassenden Wortkatalog von Hermann Tropf genügte, um eine Kettenreaktion „mundartlichen Gebabbles“ auszulösen. Bildhafte und treffende Wortarten wie „droodle“= mit Draht arbeiten und „droddle“ = trotteln oder „dummle“ (sich beeilen): „Dummel di mol“= „Mach, dass ferdich wersch!“ wie auch Redewendungen wie „Hodd Ebber Ebbes zu Ebber gsad?“ (Hat jemand etwas zu jemanden gesagt?) wurden ebenso aus der Schublade geholt wie das Wortspiel mit dem „Hemd“: „Hemmer Hemmer?“= Haben wir Hemde? Antwort: „Ja, Hemmer hemmer!“ = Ja, Hemden haben wir.

Auch das St. Leoner Original „Der Linus vunn Sand Lee“ mit seinen „Esseln, seinem Hund, seiner Katz und seinem Giggel, musste herhalten. Das Unikum narrte sogar den Gerichtsvollzieher, wie Marlene Imhof zu erzählen wusste. Der Pfiffikus war das Ziel zahlreicher pointierter Beiträge.

Es war ein gelungener Abend, der nicht nur zum Schmunzeln beitrug, sondern auch die Wortsammlungen durch weitere Begriffe ergänzte und dem Auftrag des Arbeitskreises Heimatgeschichte gerecht wurde, die Mundart zu pflegen und sie der Nachwelt als „nostalgische Kulturgut“ zu erhalten.                                       

Wenn die Anwesenden zu Akteuren werden

Die von Emil Klevenz initiierten Mundartabende haben den Charakter von „Arbeitssit-zungen mit humorvollem Kolorit“. Darsteller sind nicht eingeladene Mundartpoeten,

sondern die Anwesenden selbst. Und Viele, insbesondere Vertreter der älteren Generation, waren auf Einladung des „Arbeitskreises Heimatgeschichte“ ins Feuerwehrhaus  St. Leon gekommen. Sie trugen mit ihren Beiträgen und ihrem Wissen dazu bei,  die sich im rasanten Verdrängungsprozess befindliche Mundart weiter zu pflegen. 

Aus der Mundartsammlung von Hermann Tropf „Wie d´ St. Leener unn d´ Roder schwetze unn g´ schwetzt hewwe“, wurden dem Publikum in der Reihenfolge des ABC Begriffe vorgegeben. Die mundartlichen Wortschöpfungen erwiesen sich hierbei bisher immer als hervorragende „Zungenlöser“. Sie motivierten zu lebhaften Gesprächsrunden, bei denen längst vergessene Begriffe und Redewendungen  in Verbindung mit nostalgischen Erinnerungen aktiviert und in die Sammlung aufgenommen wurden.    

Emil Klevenz  verstand es immer wieder, mit seinen eigenen Erinnerungen auch die der Anwesenden zu wecken und einige Anekdoten zum Besten zu geben. Die Beiträge  in  Gedichtform von Clarissa Götz und E .Klevenz (Eigenbeitrag) dargeboten, trugen zur Abrundung des Abends bei, an dem Hermann Tropf eifrig notieren konnte.

Die Mundartabende werden  vom Arbeitskreis Heimatgeschichte fortgesetzt.                                     

Deutscher Dialekt in der englischen Sprache

Der Mundartabend, von Emil Klevenz mit dem Gedicht  „Ein Hoch auf die Mundart“ von Gustav Knauber eingeleitet, wurde  im Haus der Feuerwehr St. Leon ein voller Erfolg. Im großen Saal  waren alle Plätze besetzt. Der Abend gestaltete sich außerdem zu einem eindrucksvollen Pladoyer für die sich im Siechtum befindliche „Muddersproch“.        

Eckpunkte des Abends waren die von Hermann Tropf aus seiner umfangreichen Wortsammlung vorgegebenen Mundartbegriffe, die sich wiederum als wirkungsvolle Gesprächsankurbler erwiesen. Inzwischen ist man beim Buchstaben „k“ angelangt.  Wörter wie „kurgeln“ machten die Runde, was soviel bedeutet wie hinunterrollen im Gegensatz zu „schurgeln“, das aktives Rollen zum Ausdruck bringt. Wieder einmal kamen dabei Wesensmerkmale der Mundart wie Treffsicherheit in der Beschreibung und Originalität in der Wortfindung innerhalb der angeregten und heiteren Gesprächsrunden zum Tragen.

Während beim letzten Mundartabend die Beschreibung der Charaktere örtlicher Zeitgenossen wie der Broddler (Nörgler), der Knodderer (Meckerer) oder der Lappeduddl (antriebsarmer Mensch) im Focus der Gesprächsrunde stand, waren dieses Mal die Bedeutungsverschiebungen in der Mundart an der Reihe: So kann mit „Muster“ eine Vorlage oder der Körperbau eines Menschen gemeint sein. „Markieren“ kann kennzeichnen oder auch schauspielern bedeuten. Mit  „Schmacken“ meint man nicht nur schmecken, sondern auch riechen: „Der schmackt!“

Auch die Feindifferenzierung und die Bildhaftigkeit in der Muddersproch wurden thematisiert. So ist ein „Hubbel“ im Dialekt eine Bodenerhebung, während ein „Bobbel“ eine Schwellung am Körper bedeutet. „Hundle“ beschreibt das Schwimmen wie ein Hund.

Hermann Tropf konnte auch mit vielen Beispielen nachweisen, dass urdeutsche Wörter aus

dem Dialekt in der englischen Sprache integriert sind: „anneweg“ (trotzdem): englisch: anyway, „datsche/detsche“ (antippen):englisch: to touch; „bumbe“ (schubsen):englisch: to bump; „Suggel“ (Schnuller): englisch: to suck, to suckle.

Kurze Mundartwörter  können aussagekräftig sein und ganze Sätze ersetzen: „Unn?“ bedeutet je nach Situation z. B. nach einem Theaterbesuch: Wie war es gestern Abend?  Nach einem Fußballspiel: Wie ist das Spiel ausgegangen? etc.; „wu noo?“ Wohin des Weges?

„Joh“, lang gezogen, in der Tonhöhe fallend, bedeutet: na gut, einverstanden. „Joh“, sehr lang gezogen, in der Tonhöhe steigend, bedeutet: Was du nicht sagst, ich nehme dir das nicht ab. Oder;„ a wuher dann!“: nie und nimmer, das stimmt nicht!

Die Phasen der Wortvorgaben wurden durch Einblicke in das frühere Alltagsleben unterbrochen, wobei Willi Steger jeweils verbindende Worte fand und Emil Klevenz aus seiner reichhaltigen Erfahrung, mit Anekdoten und dem Gedicht „S´ Bauerelebe“  garniert, berichtete. Hierbei durfte das im Heimatbuch veröffentliche Gedicht „Der Spargelbauer un der

Neider“ von Artur Vogel nicht fehlen, eine Hinleitung zum Spargelanbau, der seit 1887 in  St. Leon und in Rot Anfang des 20. Jahrhunderts praktiziert wird. Hierbei erfuhren die  Anwesenden auch, dass der weibliche Spargel Kerne und rote Beeren treibt, aus denen der Samen gewonnen wird. Gepflanzt werden jedoch die Setzlinge, die in  den Spargelzuchtstationen Hollands herangezogen werden. Rosa Schötterl, Clarissa Götz und Josef Wittmann strapazierten mit ihren pointenreichen Mundartbeiträgen die Lachmuskeln der Besucher und sorgten für einen humorvollen und beschwingten Abschluss eines interessanten und aufschlussreichen Abends. Emil Klevenz verblieb der Dank an die Feuerwehr, die den Raum zur Verfügung stellte und für das leibliche Wohl sorgte.